Christian Ruby
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Cf. www.editionsnessy.fr
In
meinem neuen Buch versuche ich die Frage zu beantworten, was unter « Zuschauer »
(oder Zuhörer oder Leser) zu verstehen ist.
Zuschauer (Filme, Musik, Literatur, Performance, bildende Kunst, Theater) zu
sein bedeutet, eine aktive Haltung einzunehmen, da auch das Sehen, das Lesen,
das Zuhören, eine Haltung ist. Kein Text kann auf seinen Leser in einer
Schublade warten. Ein Buch ist kein Buch ohne Leser. Es gibt keine Aufführung,
keinen Film ohne Zuschauer. Alle Werke, im Projekt der Modernen (ich habe keinen
Überblick über die gesamte Geschichte), sind was Siegfried J. Schmidt (1)
allgemein eine Eigenschaft von Kunstwerken nennt : « Wahrnehmungsangebote », in
der Absicht einer Sinnproduktion. Kunstwerke entstehen mit dem Rezipienten. Von
ihm hängt es ab, ob der Sinn zwischen Werk und Zuschauer oder Leser gelingt.
Der Zuschauer muss das Angebot annehmen. Das Gesehene muss für ihn
bedeutungsvoll sein. Werke und Zuschauer, Leser, Zuhörer, u.s.w., sind zwar
konstitutiv getrennt. Der Zuschauer ist dabei der letzte Adressat aller
Aktionen.
Der
Zuschauer ist immer aktiv an der Aufführung beteiligt. Der Leser ist aktiv an
der Lesen beteiligt. Er bestimmt die Werke darüber hinaus durch seine
Reaktionen mit. Er beeinflusst die Aufführung oder das Lesen. Oft erinnert er
sich an manche Bilder. Und das Bilan kann für jeden einzelnen Zuschauer sehr
unterschiedlich sein und basiert auf individuellen Erfahrungen.
Die
Rolle des Zuschauers fordert die Bereitschaft zur Warnehmung. Das Sehen, das
Lesen impliziert, dass eine Einordnung dessen, was sichtbar und sagbar ist,
stattfindet. Einige Konventionen regieren die Verhalten. Der Raum, in dem er
agiert, kann durch Kulturlandschaft, Humor, Volksstimme,… und nicht nur durch
inkorporiertes kulturelles Kapital bestimmt werden .
Die
moderne-klassische Kunst (seit dem 18. Jahrhundert) hat eine « Kunst des
Zuschauers » konzipiert, in einem abgegrenzten Raum mit einer beschränkten Zahl
an Zuschauern. Im Mittelpunkt meines Buchs steht dabei gar nicht die Frage nach
einer richtigen oder falschen Kunst. Erstens stellt sich hier die Frage, wie
klassische künstlerische Prozesse (die sich dann in politischen und
philosophischen Entscheidungen, kulturellen Praktiken, aufgestellten Regeln,...
ausdrücken) entstehen, und zweitens wie man sich selbst, als Zuschauer, zu
ihnen ins Verhältnis setzt, wie man an diesen Prozessen teilnehmen möchte. In
diesen Prozessen gibt es also verschiedene Arten an seinem Platz zu sein.
Diese
klassische Art des Zuschauens ist tot. Eigentlich funktioniert es nicht mehr. Ihre
Tage in der Gesellschaft scheinen gezählt. Wir haben uns heute von diesem
Muster getrennt. Die « Kunst des Zuschauens » ist ein konservatives Konzept
geworden. Entscheidend ist, aber, dass das intellektuelle Publikum hier eine
reaktive Rolle spielt. Zweifellos hat es viele Vorurteile über die neuen
Figuren der Zuschauer konzipiert. Es geht um das Publikum, das jetzt in
gewaltiger Schar existiert. Zuschauer der Tagesschau, Zuschauer des Sports,
Zuschauer des Medien (multimedial). Man wird heute als Individuum statt als
Masse empfunden. Man ist aktiver User statt Folgevieh (und nicht nur per SMS).
Der Zuschauer entscheidet, wann und was er sehen will.
Das
ist nicht zu kurz gedacht. Ich gehe auf die Suche nach einem tieferen Sinn für
all das. Denn einig sind sich die meisten Theortiker darin, die aktuelle
Zuschauerrolle negativ zu bewerten. Sie befürchten, dass die Medien nur das
anbieten, was der Zuschauer will. Für sie ist Mediengefahr immer ein Risiko.
Die Tagesschau wird als einzige Informationsquelle benuzt. Sie zweifeln nicht
an einer Medienbedrohung. Der Aufbruch der Medien im Weltraum (in der Welt)
fordert den Menschen heraus. Medien sind nur eine mächtige Kontrollinstanz. Und
die Intellektuellen möchten die Bedrohung der Mediokratie unterstreichen. Sie
wollen sich auch ihre Dominanz über die Menschen nicht nehmen lassen.
Mein
Buch ist eine Antwort auf die von den Konservativer als schlecht verstandenen
Zuschauer. Ich hoffe, das Buch kann dazu beitragen, diese Denkschablonen
abzulegen (loszuwerden). Außerdem wage ich es zu behaupten, dass mein Interesse
danach strebt zu erklären, was in den neuen Spielregeln zu verstehen ist, wie
wir die neuen Werke, die die Künstler uns anbieten verstehen und erleben können.
Die
zeitgenössische Kunst hat nicht nur andere Materialien, eine andere Aktivität
und eine andere Haltung der Welt gegenüber. Sie hat darüber hinaus einen
anderen Zuschauer und eine andere Aufgabe für den Zuschauer geschaffen. Zum
Beispiel, Peter Handke’s Publikumsbeschimpfung
(1966, Frankfurter Theater). Dieses Stück brachte schon Handke (23 Jahre
alt) zum ersten Mal Erfolg. Es ist kein Theater im herkömmlichen Sinne, sondern
eher eine Art Dialog zwischen Schauspielern und Publikum.
Die
zeitgenössische Kunst und das Straßentheater, - die eine Geschichte der neuen
Sensibilität darstellen -, eben jene Spielform, die direkt in die Realität übergehen
will (Kneipen, Jugendheime, Gewerkschaftsräume) haben offensichtlich eine
andere Zielsetzung als moderne Kunst (18° und Avant-Garde) : ins Gespräch mit
den Zuschauern zu kommen.
Sie
haben aber auch die Aufgabe, das Publikum zunächst anzulocken. Sie wollen die
Zuschauer in die bestehende Problematik einführen und ihnen schließlich eine
klare Zielperspektive anbieten. Ihre Mittel : das Publikum soll angesprochen
und provoziert werden. Und das ist sehr problematisch.
Jedoch
arbeite ich nicht nur über zeitgenössische Künstler, weil thematisiert sind
derzeit in ihm die weitgehend schweigende Rezeption der Zuschauer und der
Applaus am Ende. Ich arbeite über die Zuschauer und darüber was ich von ihnen
begreifen kann. In der kulturellen Sphäre thematisiere ich den Begriff einer
Kernkultur die den aktuellen kulturellen Stil bestimmt (eine Kultur im Wandel).
Die Kernkultur beschreibt, welche Teilmenge an kollektiven Produktion und
Kooperation beliebig sind. Und eine Möglichkeit für Interkulturelle
Kommunikation (gerade in Zeiten der Globalisierung wird das Ansammeln von
kulturellem Kapital, und damit die Etablierung einer eigenen kulturellen
Identität über transnationale Grenzen hinweg, wichtig), und für Konflikte, die
eine spezifische Form von sozialen Beziehungen (zwischen Individuen, Gruppen
und Staaten) sind.
Das
bedeutet, dass die Konflikthematik eines der Themen ist, in denen eine
kulturelle Perspektive in Zukunft eine immer größere Rolle spielen wird.
(1) Siegfried J. Schmidt : Kalte Faszination. Medien, Kultur, Wissenschaft in der Mediengesellschaft. Weilerswist, 2000, 307.